Sapere aude! | Retrodesignbuch V und Schluß · 12. Juli 2009

Habe den Mut, deinen Verstand zu nutzen; das ist das Motto der Aufklärung — ist man seiner Sprache sehr zugeneigt und hat schöne Literatur regelmäßig über Jahrzehnte gelesen, eignet man sich wohl ein Gespür an für die Sprache der Jahrhunderte. Die feinen Gerichte, die Goethe, Stifter, Gotthelf der Menschheit aufgetischt haben, habe ich mir lange und immer wieder neu auf der Zunge zergehen lassen. Zu sehr, um einen faden Wortbrei für eine Gourmetleistung zu halten, wie sie die Autoren von “Retrodesign” mir als Kant-Zitat unterschieben wollen. Ich habe Kant nicht gelesen, aber 1784 wird ein bedeutender Philosoph nicht so plump gebrabbelt haben, wenn er seinem Gedanken Strahlkraft geben wollte, also auch Erhabenheit.

Sapere aude! Dieses Zitat habe ich mal auf ein Briefpapier gedruckt und weiß seither, daß es von Horaz ist. Kant hat es in der Einleitung seines Aufsatzes “Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?” so übersetzt: “Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” und fügt an: “ist also der Wahlspruch der Aufklärung.”

Sich etwas zu bedienen, das man bei sich hat, das jederzeit für jeden verfügbar ist, ist etwas anderes als etwas nur zu “nutzen”. Klingt gar Luxus darin mit? Vielleicht Geschicklichkeit? Man nutzt seinen Löffel und einen Nürnberger Trichter, dafür braucht man weder Mut noch Verstand.

Erstens denkt man sich Zitate nicht aus, zweitens werden Zitate im Lektorat geprüft. In diesem Buch ist es anders.

Wird man auf eine derart breite Spur gesetzt, findet man meistens weiteren Unfug. Die Walbaum von Erich Justus Walbaum wurde 1850 gemacht? Soso, elf Jahre nach Walbaums Tod, is ja doll. Die “Didot” aus Tschicholds Meisterbuch der Schrift ist von Didot? Für die Abbildung einer Didot hätte man ein sicheres Original nehmen sollen, nicht Tschicholds Buch. Die Schriftgießerei Deberny & Peignot, von der die Schriftprobe im Meisterbuch stammt, hatte mindestens drei Zuflüsse klassizistischer Typen, nachzulesen bei Bertheau (1995). Eckehart SchumacherGebler hat mir gesagt, er habe die Schriften verglichen, die im Tschichold sei keine von Didot, sondern von Molé. Auch Tschichold irrte gelegentlich.

Falsches Zitat, falsche Jahreszahl, fehlende Recherche eines seit 1995 veröffentlichten Problems. Man kann sich nicht um Details kümmern, wenn man ein solches Buch macht, wird die Antwort sein. Ich vermute, es sind in dem Buch diverse solcher Fehler zu finden. Ich bin kein Kunsthistoriker, aber wenn schon mir solche Dinge auffallen, dann scheint nicht sehr viel Sorgfalt aufgewendet worden zu sein.

In diesem Buch geht es um Masse. Im Textteil rauscht man nur so durch die Kunst- und Designgeschichte. Kurze Texte, und die haben es in sich. Da liest man beispielsweise zur mittelalterlichen Buchkunst: “Die Illustrationen waren zunächst in einem eher simplen Stil gehalten, mit der Zeit wurden sie jedoch immer komplexer und detailreicher. (…) Gutenbergs Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern kam einer Revolution gleich. Die Schrift wurde kreativ gesetzt. Formsatz war beliebt, vor allem Spitzkolumnen.” Und zur Farbe: “Zur Zeit der Renaissance wurden sowohl in der Buchmalerei als auch in der Keramik meist die Grundfarben Rot, Blau und Gelb in Kombination mit Weiß bzw. hellen Tönen genutzt. So machten die Gestaltungen einen lichten, freundlichen Eindruck, auch wenn viele Objekte vollständig mit Mustern verziert waren.”

Im besprochenen Buch gibt es keine Abbildung der mittelalterlichen Buchmalerei, ich zeige mal eine recht zufällig gegriffene aus einem Band mit Abbildungen eines Stundenbuches von Philippe de Mazerolles, dem Hofmaler von Karl dem Kühnen, der um 1470 als solcher wirkte. In dem kostbaren Erbauungsbuche finden wir den Kindermord zu Bethlehem. Welch prachtvoll orangerotes Kleid die Mutter trägt, die sich gegen den Soldaten nicht wehren kann, der gerade ihr Kind durchbohrt mit seinem Schwert. Rot ist auch das Blut der Leichen. Links davon thront Herodes im blauen Gewand, der die Ermordung aller bethlehemitischen Kinder angeordnet hat. Um das Bild herum ein reich verzierter Rahmen, allerdings kommt die grüne Farbe nicht gerade spärlich vor. Hell und freundlich ist das alles, aber ja, die Menschen ziehen auch keine sonderlichen Grimassen bei dem Gemetzel.

Da sieht man, wohin die Verkürzung führt. “Lichter und freundlicher Ausdruck” der mittelalterlichen Kunst, abgeleitet von drei Farben. So viel Naivität ist ärgerlich. Hier wird Halbwissen verbreitet, und zwar mit einem Anschein der Wissenschaftlichkeit, der mich besonders zornig macht, nämlich didaktisch aufbereiteten Zeitstrahlen. Diese Dinger habe ich schon als Kind in der Schule verabscheut. Sie erzählen keine Geschichte, sie hacken sie in auswendig zu lernende Schnipsel. Und so ist auch das Designbuch zusammengeklaubt: man erfährt nicht, wie im Mittelalter Bilder aufgebaut und Buchseiten konstruiert wurden, statt dessen wird einem erzählt, man habe mit Rot, Blau und Gelb freundliche “Gestaltungen” geschaffen. Man erfährt nicht, wie es zur Elementaren Typografie kam, der Name Tschicholds wird gerade mal erwähnt, seine Bedeutung und seine Argumentation für die Neue Typografie werden mit keinem Wort erfaßt. Und natürlich liest man hier auch nichts über den Meinungswandel des bedeutendsten Typografen des 20. Jahrhunderts. Für Details ist in diesem Buch kein Platz. Es ist dem Gedanken der pädagogischen Geschichtsschreibung verfallen, die uns unsere Vergangenheit in Epochen zergliedert, deren Sprache wir angeblich nicht verstehen können. So hält man die Menschen vom Vergnügen der Bildung fern. Man sagt ihnen, daß es überschaubar und leicht verständlich sei. Ein paar Begriffe, ein paar Zahlen, schon ist man Historiker. Und steht dann arglos vor mittelalterlicher Malerei — und jede Aussage auf dem Bild wird von blindem Blick erfaßt: Blau und Gelb, wie nett.

Dieses Buch ist niemandem zu empfehlen. Irgendwo las ich, daß es für Studenten geeignet sei. Schlimm. Ich würde Studenten sagen, daß Wissenslücken und Unkenntnis niemals aufhören. Und daß man diese Lücken nicht mit Halbwissen zudecken sollte, sie reißen dann nämlich wieder auf, wenn es darauf ankommt. So wie bei den Autoren dieses Buches, die sich vollkommen übernommen haben. Will man sich einem Gegenstand nähern, sollte man sich Zeit nehmen. Will man das Mittelalter verstehen, sollte man Arno Borst lesen. Will man die deutsche Sprache in ihrer umfassenden Schönheit erfassen, soll man erstens den Nachsommer von Stifter lesen, denn schönere deutsche Prosa gibt es nicht, und zweitens Gedichte. Will man mittelalterliche Buchkunst verstehen, lese man Monographien mit Bildbeschreibungen, ein Lexikon zur Hand, um die biblischen Namen nachzuschlagen, die dort genannt werden. Will man wissen, was Typografie soll und kann, dient einem Tschichold. Man erfaßt einen Gegegenstand erst, wenn man sich um Genauigkeit bemüht, und dann wird man mit Verständnis belohnt. Das macht glücklich. Das Retrodesignbuch wird niemandem helfen, gutes Design zu produzieren, es ist überflüssig.

— Martin Z. Schröder

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Netzfund | Retrodesignbuch IV · 11. Juli 2009

Etwas verspätet habe ich noch eine lange Besprechung von HD Schellnack gefunden. Mit großer Anstrengung, niemandem wehzutun im Design-Betrieb, liefert der Autor einen lesenswerten Verriß, der nur einen Blinden dazu bringen kann, dieses Buch zu kaufen. Ausführlich wird am Anfang und am Ende der Rezension der günstige Preis des Buches und der Fleiß der Autoren gewürdigt, aber in der Mitte liest man deutliche Worte:

“Und was will man mehr von einem Buch — auch wenn die Autoren es vielleicht gar nicht primär beabsichtigen — als die Sinnlosigkeit und den Stillstand von Design über Jahrhunderte und Dekaden hinweg eben Seite um Seite gezeigt zu bekommen: Beispiele für ein Designverständnis, das nichts anderes tut als alten Wein in neue Schläuche zu füllen? Retrodesign ist es allein schon wert, gelesen zu werden, um mit eben Retrodesign als gestalterischer Strategie bitte ein für alle Mal aufzuhören.”

Muß man dafür das Buch wirklich lesen? Ein Phänomen der Buchbesprechung im Internet scheint die Furcht vor Liebesentzug zu sein, wenn man es mit wirklich oder vermeintlich mächtigen Größen zu tun hat. Man merkt es auch an Einschüben, die die eigene Auffassung als kleine Privatmeinung, was an einem Blog eines einzigen Menschen überflüssig ist, zu relativieren scheinen:

“Insofern ist der jugendliche Optimismus, den die Autoren mit Retrodesign verbinden — aber dies ist natürlich nur meine persönliche Meinung — nicht in dieser Form angebracht und reduziert Design auf das Zitat, den Remix, das Mash-Up kultureller Fragmente. Tatsächlich lese ich Retrodesign eher als Warnung, nicht andere kunsthistorische Epochen zu klonen, sondern selbst eine eigene klare, frische und zeitsymptomatische Semantik in Kunst, Architektur, Objekt- und Mediendesign hervorzubringen.”

Eigentlich meint der Autor wohl, das Buch ziele in die falsche Richtung. Aber daß eine andere Meinung als die vom Verlag erhoffte in Komplimente verpackt wird, zeugt vom Druck, dem sich ein Rezensent ausgesetzt fühlt: Wie begegne ich den Verlegern beim nächsten Kongreß, wenn ich ihr Buch öffentlich schlecht gefunden habe? Diesen Druck gibt es überall, auch im Literaturbetrieb. Auch ich habe anfangs vorsorglich darauf hingewiesen, daß aus dem Verlag auch Bücher kommen, die ich ohne Einschränkung für ausgezeichnet halte. Wir haben wohl ein beklemmendes Kritik-Verständnis. Es ist aber auch ein netter ziviler Zug, niemandem wehtun zu wollen. Ich bin zwiegespalten.

Zurück zum besprochenen Buch: HD Schnellnack weist in seinem wirklich erhellenden Text präzise auf die emotionalen Fallen des Retrodesigns hin, auf die naive Kuscheligkeit, die sich in Nostalgie äußert. Für dieses Unbehagen fehlten mir die Worte. Mir fehlt aber auch noch ein Lektüre-Teil, vielleicht schaffe ich es morgen, mir den Textteil anzusehen.

— Martin Z. Schröder

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Bilderreich | Retrodesignbuch III · 10. Juli 2009

Nachdem das Buch nun tagelang offen lag, habe ich mich ihm wieder genähert. Ist ja ein bißchen blöd, wenn man ein Buch besprechen will, sozusagen live, eben in einem Blog, tagesaktuell, und dann kann man erst mal nur schreiben, daß es nicht gut riecht. Tja, so kann’s gehen mit der Authentizität. Aber ich muß schon sagen, so hat mich ein Buch noch nie olfaktorisch beeindruckt, es ist schier unglaublich, welche Wolke da permanent aufsteigt.

Aber das läßt ja irgendwann mal nach. Hoffe ich. Gestern konnte ich eine halbe Stunde drin blättern und bin auch schon auf Seite 200 vorgedrungen. Zurückgelehnt. Dann deutete sich ein Kopfweh an durch die anhaltende Ausdünstung.

Anfangs wird in dem Buch erst einmal definiert, was Retrodesign ist. Schön, das wußte ich schon, aber es vermittelt doch den Eindruck, daß man sich der Sache sachlich angenähert hat. Und dann schlägt man eine Seite auf mit einem Ordnungssystem, das gut gemacht ist: Piktogramme sollen innerhalb des Buches Orientierung über die Stilrichtung geben, in der man gerade blättert.

Für achtzehn Stilrichtungen wurden diese Zeichen entwickelt.

Und die meisten kann man erkennen oder sich merken, auch wenn man in diesem Falle vielleicht eher Einstein oder Mike Jagger vor Augen hat, deren Zuordnung zu Punk zumindest mir schwerer fällt als die eines bestimmten Haarschnitts, an denen man in meiner Jugend Punks von Poppern und Stinos unterscheiden konnte.

Aber die Idee ist hübsch.

Bislang gab es noch sehr wenig Text, und die Definitionen sind ein bißchen schulbuchhaft. Aber immerhin, gegen Definitionen ist nichts zu sagen.

Auf der Suche nach dem geschriebenen Wort kann man diese beiden Seiten nicht übersehen. Dies seien Statements, so steht es neben den großen Lettern geschrieben, die “international renommierte Designstars” den Autoren des Buches “exklusiv” gegeben haben. Kann man nur hinnehmen. Statements eben. Warum ein Zitat in die Leere führen soll, wie von Erik Spiekermann hier zu lesen, bleibt Geheimnis, vielleicht weil der Kontext fehlt, was nach Richard Kegler im Retrodesign ins totale Chaos führen kann. Vielleicht hätte man statt international renommierten Designstars einen schnell dahingesagten Satz abzuluchsen einen etwas weniger bedeutungsaufgeladenen Experten fragen sollen, der dafür etwas mehr Zeit hat?

Zum stylelab gehört eine große Bildersammlung. Ein historisches Original wird einem Bild einer Wiederaufnahme gegenübergestellt. Das ist für dreißig Seiten ganz nett, dann wird es langweilig. Und wenn ein Kupferstich von Albrecht Dürer (in der Bildunterschrift als Holzschnitt bezeichnet!) einer Illustration von Hannes Binder (ich tippe auf Schabtechnik, es ist nicht vermerkt) gegenübergestellt wird, frage ich mich, wie weit der Begriff Design gefaßt werden kann und ob Designer von Kunst nicht zumindest so viel verstehen sollten, daß sie einen Kupferstich von einem Holzschnitt unterscheiden können. Ich würde den Künstler Hannes Binder nicht Designer nennen. Dürer auch nicht. Ich kann auch den Zusammenhang der beiden Werke nicht erkennen. Gilt schwarz-weiß in manchen Kreisen vielleicht schon als grafische Technik?

Auf anderen Bildkombinationen findet man hübsche Überraschungen, aber daß die Plattencover ein Retrodesign dieses Gemäuers sein sollen, nun ja. Wenn überhaupt, würde ich von einer Anregung sprechen, und ich kann mir auch gut vorstellen, daß beides nichts miteinander zu tun hat, weil die bildgebenden Ideen, also dieses Muster auf dem Gemäuer wie auch die Darstellung von Dreidimensionalität wohl keine einzigartigen Erscheinungen sind.

Also bis jetzt habe ich viele Bilder gesehen, die mich nicht klüger gemacht haben. Ab Seite 200 kommt Text. Über diesen werde ich mich in einigen Tagen beugen, wenn die Ausdünstungen des Werkes weiter nachgelassen haben. Ich räume ein, daß mich eine gewisse Skepsis befallen hat, weil ich mich frage, ob Designer wirklich solch eine Bildersammlung brauchen, um eigene Ideen zu entwickeln. Klar, man braucht Anregungen. Aber wer nimmt denn Anregungen aus zweiter Hand? Ist das Buch für ernsthaft arbeitende Designer gedacht? Oder eher für (etwas wenig gebildete) Leute, die schnell mal eine billige Reklame zusammenschustern und Museen nur als zu meidende Lokalitäten aus Touristenführern kennen? Vielleicht werden meine Fragen auf den kommenden Buchseiten beantwortet und verfliegt meine Skepsis zusammen mit dem nun ausreichend beklagten Farbdunst.

PS Das gebe ich ohne Kommentar wieder: “Der Kunstledereinband mit dem zentriert gesetzten, an Wappen oder Siegel erinnernden Logo soll Assoziationen zu historischen Bucheinbänden, z.B. von Bibeln wecken. Das Logo bündelt die Charakteristika der Stile und wirft sie in Wellen (Revivals) immer wieder zurück in die Zeit. Die Gestaltung spielt mit Kontrasten. Konstruktive Elemente werden mit ornamental-verspielten kombiniert.” Quelle: Die Website zum Buch.

PPS Schaut man sich Internet nach Besprechungen des Buches um, stellt man fest, daß es nur wenige Rezensionen gibt, eine ausführliche hier von Tobias Battenberg, der wie ich mit dem üblen Geruch und dem bröckelnden Farbschnitt des Buches zu kämpfen hatte und wo man interessante Details über den Papierzertifizierungsquatsch erfährt, den ich neulich erwähnte. An anderen Netzknoten jede Menge das Buch lobende kurze Inhaltsangaben, die fälschlich als Rezension bezeichnet werden, eine davon stammt gar von einem Händler, auf dessen Website von der Website der Autoren verlinkt wird. Anmerkungen, die über eine Inhaltsangabe hinausgehen, macht Peter Reichard.

Es ist für einen Verlag, der Bücher über Design publiziert, offenbar schwer, kritische und ausführliche Würdigungen seiner Arbeit zu erlangen. Selbst die Fachpresse bietet wenig. In den Feuilletons der Presse findet Design-Kritik fast nicht statt, abgesehen von der Architektur, die gelegentlich öffentlicher Bauten besprochen wird oder auch wenn ein Redakteur und Autor wie Thomas Steinfeld sich an die Arbeit macht. Und hier und da erwähnungsweise im Kunstmarkt großer Zeitungen, wenn Sotheby’s eine Kommode versteigert. Aber Gebrauchsgrafik und Typografie? Fehlanzeige.

— Martin Z. Schröder

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Beharrliche Buchausdünstung | Retrodesignbuch II · 8. Juli 2009

Habe mich erneut dem Retrodesignbuch nähern wollen, wurde aber von dem daraus aufsteigenden Chemiedunst abgeschreckt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein so stark nach scharfer Chemie riechendes Buch in der Hand gehabt zu haben. Habe es für ein paar Stunden in den Hinterausgang gelegt. Ich verstehe es gar nicht. Erst dachte ich: Kunstleder! Aber das riecht gar nicht, es sind die bedruckten Seiten. Phänomenal!

Hinten im Buch einen Hinweis auf klimafreundliche Herstellung gefunden. Weiß jemand, wie das geht: mit der Druckmaschine die Stube heizen? Geht da ein Schlauch durch? Ich frage mich, wie die Luft in der Druckerei sein muß, wenn das Produkt solche Wolken absondert. Lektüre muß warten.

PS Diesen interessanten Artikel über eine Typo-Demo habe ich zufällig gefunden.

PPS Mein Kollege Justin Knopp in Colchester berichtet vom Unterschneiden einer Monotype-Garamond.

— Martin Z. Schröder

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Ein Buch muß lüften | Retrodesignbuch I · 7. Juli 2009

Bislang habe ich Bücher nur für Zeitungen rezensiert. Nun schlug mir der Verlag Hermann Schmidt Mainz vor, es einmal im Blog zu versuchen. Und sandte mir das Buch Retrodesign von Achim Böhmer und Sara Hausmann (Retrodesign stylelab. 318 Seiten mit über 800 farbigen Abbildungen Format 25,5 × 29 cm. geprägter Kunstledereinband, Buchblock im Tampondruck allseitig bedruckt. ISBN 978-3-87439-726-1) zur Besprechung.

Eine Zeitungsrezension für das Feuilleton folgt Vorgaben. Man gibt etwas über den Inhalt bekannt und kommentiert ihn, man begründet eine Meinung, und je nach Bedeutung von Buch und Rezension und natürlich nach Ansicht der Redaktion wird bebildert. Auf Details kann man nur wenig eingehen, eine Diskussion ist fast unmöglich. Vielleicht gibt es eine Leserbrief-Veröffentlichung, aber eine Auseinandersetzung über ein so spezielles Thema wie Typografie ist in einer Tageszeitung nicht vorgesehen. Kann man hier, im Blog, ganz anders machen. Probiere ich mal aus:

Das Paket kam an. Viele Bücher von Schmidt sind gewichtig. Ich trug es in die Werkstatt und packte aus. Ah, ein Farbschnitt. Damit habe ich ja selbst gerade experimentiert. Das größte Problem war, die Farbe fest auf die Schnittkante zu bringen, ich habe mit Pinseln und Schwämmen experimentiert, mit verschiedenen Farben, mit Wachs und mit Lack, und es hat eine Weile gedauert, einen hochwertigen Farbschnitt zu erzeugen.

Fürs Experimentieren an dem vorliegenden Buch scheint die Zeit nicht gereicht zu haben. Nicht nur die weiße Farbe läßt sich abstreichen, auch der schwarze Untergrund ist nicht fest mit dem Papier verbunden. Ich rate also zuerst sehr davon ab, sich diesem Buch in heller Kleidung zu nähern und es auf den Schoß zu nehmen.

Ich schlug das Buch auf. Soso, das ist also die Retro-Zukunft. Ich kann aber über den Inhalt heute noch gar nichts sagen.

Als ich feststellte, daß die erste Lage in meinem Exemplar nicht vollständig mit dem Faden verbunden ist (sicherlich nur eine Ausnahme), stieg mir ein so beißender Geruch in die Nase, daß ich das Buch von mir halten mußte und mich veranlaßt sah, …

es erst einmal auszulüften. Natürlich wird Chemie eingesetzt, wenn man Bücher macht. Kunstleder, farbige Prägung, Bilderdruck, Tampondruck für den Farbschnitt (vielleicht nicht das ideale Verfahren dafür?). Und wenn man nach der Produktion gleich Plastikfolie drum herum schweißt, bleiben die Duftmarken der Chemikalien frisch.

Heute kann ich also noch gar nichts über den Inhalt sagen, weil die olfaktorische Begrüßung mich umgehauen hat. Da fällt mir ein: gerade ist die Zertifizierung von Papierlieferanten und Druckereien im Gange. Als ich gestern Papier bestellte, habe ich mich mit meinem Lieferanten kurz darüber unterhalten. Zertifizierte Artikel des zertifizierten Händlers bekommen nämlich neue Artikelnummern. Händler haben aber viele Artikelnummern im Kopf, jetzt dürfen sie sich neue merken. Und mein Händler sagte, es werde dafür furchtbar viel Geld verbraten. Wie das kommt, kann man bei einem anderen Händler nachlesen, siehe Punkt 18. Einmalige Kosten sollten 2000 Euro nicht überschreiten, steht da, und jährlich kommen neue hinzu. Wieviel Papier dafür wohl verbraucht wird? Als Buchdrucker bin ich da gut dran, ich produziere ohen Strom (abgesehen von Beleuchtung), die Erstellung der Druckform mit Bleilettern benötigt nicht eine Chemikalie außer der Luft, die ich atme, und das Feinpapier, das ich bedrucke, ist zu einem wesentlichen Anteil aus Hadern, also Baumwolle.

Wenn die Luft in der Werkstatt wieder rein ist, werde ich mich dem Retrodesignbuch wieder nähern und weiter berichten, was ich daran finde. Und wie ich das finde. Ich bin gespannt. Das letzte Buch aus dem Verlag, das ich besprochen habe, hat mir ausnehmend gut gefallen.

— Martin Z. Schröder

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